Ist Gebärdensprache international?

Entgegen einer weit verbreiteten Annahme ist Gebärdensprache nicht international. Wie bei Laut- und Schriftsprachen gibt es weltweit eine Vielzahl verschiedener Gebärdensprachen, die sich in Vokabular, Grammatik und Ausführung unterscheiden. Diese Vielfalt spiegelt die reiche kulturelle und linguistische Diversität der globalen tauben Communitys wider.

Warum ist Gebärdensprache nicht international?

Die Entwicklung von Gebärdensprachen folgt ähnlichen Mustern wie die von Laut- und Schriftsprachen. Sie entstehen natürlich dort, wo taube und schwerhörige Menschen zusammenkommen und miteinander kommunizieren. Laut Schätzungen gibt es weltweit etwa 200 verschiedene Gebärdensprachen, wobei jede ihre eigenen linguistischen Merkmale aufweist.

Ein anschauliches Beispiel für die natürliche Entstehung einer Gebärdensprache liefert Nicaragua. Als dort Ende des 20. Jahrhunderts die erste Gehörlosenschule gegründet wurde, entwickelten die tauben Schüler*innen innerhalb kurzer Zeit eine eigene, vollwertige Gebärdensprache. Dieser Prozess verdeutlicht, wie Sprache entsteht, wenn Menschen das Bedürfnis haben, miteinander zu kommunizieren.

Ist Gebärdensprache international? Das Bild zeigt mehrere grüne Hände, die einen Globus halten.

Historische Entwicklung: Ist die Gebärdensprache universell geworden?

Die Geschichte der Gebärdensprachen reicht weit zurück. Bereits in der Antike gab es Berichte über gebärdende taube Personen. Die moderne Entwicklung der Gebärdensprachen begann jedoch erst im 18. Jahrhundert mit der Gründung der ersten Schulen für taube Kinder.

Ein wichtiger Meilenstein war die Gründung der ersten öffentlichen Schule für taube Kinder 1755 in Paris durch Abbé de l’Epée. Seine Methoden verbreiteten sich weltweit und beeinflussten die Entwicklung vieler nationaler Gebärdensprachen. Trotz dieser Verbreitung blieb Gebärdensprache nicht international, sondern entwickelte sich in verschiedenen Ländern unterschiedlich weiter.

Versuche, Gebärdensprache international zu machen

Es gab Bemühungen, eine internationale Gebärdensprache zu schaffen. In den 1970er-Jahren wurde „Gestuno“ entwickelt, eine Art Esperanto der Gebärdensprachen. Dieses Projekt scheiterte jedoch weitgehend, da es die natürliche Entwicklung und kulturelle Vielfalt der Gebärdensprachen nicht berücksichtigte.

Stattdessen hat sich das „International Sign“ (IS) entwickelt, eine Art Pidgin-Gebärdensprache, die bei internationalen Veranstaltungen verwendet wird. IS ist jedoch keine vollständige Sprache, sondern eher ein flexibles Kommunikationsmittel, das Elemente verschiedener Gebärdensprachen kombiniert.

Ähnlichkeiten und Unterschiede: Ist Gebärdensprache international verständlich?

Obwohl Gebärdensprache nicht international ist, gibt es durchaus Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen nationalen Gebärdensprachen. Diese Ähnlichkeiten können die Kommunikation zwischen tauben Menschen aus verschiedenen Ländern erleichtern, machen die Sprachen aber nicht vollständig gegenseitig verständlich.

Interessanterweise folgen die Verwandtschaften zwischen Gebärdensprachen nicht immer den Verwandtschaften der entsprechenden Lautsprachen. So ist beispielsweise die Amerikanische Gebärdensprache (ASL) enger mit der Französischen Gebärdensprache verwandt als mit der Britischen Gebärdensprache (BSL), obwohl Englisch in beiden Ländern gesprochen wird.

Herausforderungen der internationalen Kommunikation in Gebärdensprache

Die Vielfalt der Gebärdensprachen stellt gehörlose und taubblinde Menschen vor die Herausforderung, international zu kommunizieren. Bei internationalen Veranstaltungen oder Reisen müssen oft Dolmetscher eingesetzt werden, die zwischen verschiedenen Gebärdensprachen übersetzen können.

Trotz dieser Herausforderungen haben viele Gehörlose die Fähigkeit entwickelt, sich schnell an andere Gebärdensprachen anzupassen. Diese Flexibilität ermöglicht es ihnen, auch über Sprachgrenzen hinweg zu kommunizieren, wenn auch nicht so flüssig wie in ihrer Muttersprache.

Linguistische Aspekte: Warum ist Gebärdensprache nicht global einheitlich?

Gebärdensprachen sind vollwertige Sprachen mit eigener Grammatik und Struktur. Sie nutzen nicht nur Handzeichen, sondern auch Gesichtsausdrücke, Körperhaltung und Bewegungen im Raum, um Bedeutung zu vermitteln. Diese komplexe Struktur macht es unmöglich, eine einheitliche internationale Gebärdensprache zu schaffen, ohne die Ausdruckskraft und kulturelle Identität der einzelnen Sprachen zu verlieren.

Laut Forschungen werden Gebärdensprachen in den gleichen Gehirnregionen verarbeitet wie Lautsprachen, was ihre Anerkennung als vollwertige Sprachen unterstützt. Diese neurologische Ähnlichkeit erklärt auch, warum Gebärdensprachen, wie Lautsprachen, natürlich in verschiedenen Kulturen entstehen und sich unterschiedlich entwickeln.

Die Zukunft: Wird Gebärdensprache international?

Obwohl Gebärdensprache nicht international ist und wahrscheinlich auch in Zukunft nicht sein wird, gibt es Entwicklungen, die die internationale Kommunikation erleichtern könnten. Technologische Fortschritte, wie automatische Übersetzungssysteme für Gebärdensprachen, könnten in Zukunft die Kommunikation über Sprachgrenzen hinweg vereinfachen.

Gleichzeitig ist es wichtig, die sprachliche und kulturelle Vielfalt der Gehörlosengemeinschaften zu bewahren. Die Anerkennung und Förderung nationaler Gebärdensprachen bleibt ein wichtiges Ziel, um die Rechte und die kulturelle Identität gehörloser Menschen zu stärken.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Gebärdensprache, ähnlich wie Lautsprache, ein Produkt menschlicher Kultur und Kommunikation ist. Ihre Vielfalt spiegelt die Diversität menschlicher Erfahrungen und Gemeinschaften wider. Während dies die internationale Kommunikation manchmal erschweren kann, bereichert es gleichzeitig unsere globale sprachliche und kulturelle Landschaft.

Weitere Fragen und Antworten

Das Bild thematisiert Gebärdensprache und zeigt mehrere bunte Hände, die sich in der Mitte treffen und überlappen.

Was ist Gebärdensprache?

Gebärdensprache ist eine visuell-manuelle Sprache, die hauptsächlich von tauben, taubblinden und schwerhörigen Menschen zur Kommunikation genutzt wird. Im Gegensatz zu…
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