Usher-Syndrom

Usher-Syndrom: Eine umfassende Erklärung der häufigsten erblichen Hörsehbehinderung

Das Usher-Syndrom ist die häufigste erblich bedingte Erkrankung, bei der sowohl das Hören als auch das Sehen beeinträchtigt sind. Diese Kombination aus Hörverlust und fortschreitender Netzhautdegeneration betrifft etwa 3 bis 6 von 100.000 Menschen und stellt die Hauptursache für erbliche Taubblindheit dar. Bei etwa der Hälfte aller Fälle, in denen Gehörlosigkeit mit Blindheit kombiniert auftritt, ist das Usher-Syndrom der Auslöser. Trotz seiner relativen Häufigkeit unter den kombinierten Sinnesbehinderungen zählt es mit einer Prävalenz von 1:6.000 bis 1:10.000 zu den seltenen Erkrankungen. Wenn du mehr über diese komplexe Erkrankung erfahren möchtest, findest du hier eine ausführliche Darstellung aller wichtigen Aspekte.

Die Geschichte und Entdeckung des Usher-Syndroms

Die Erstbeschreibung des Usher-Syndroms geht vermutlich auf das Jahr 1858 zurück, als der deutsche Augenarzt Albrecht von Graefe, der Begründer der modernen Augenheilkunde, das Krankheitsbild zum ersten Mal dokumentierte. Seinen heutigen Namen erhielt das Syndrom jedoch nach dem britischen Ophthalmologen Charles Howard Usher, der 1914 die rezessive Vererbung dieses Syndroms erkannte und beschrieb. In der Fachliteratur findest du gelegentlich auch andere Bezeichnungen wie Hallgren-Syndrom, Usher-Hallgren-Syndrom, Sjögren-Hallgren-Syndrom oder von Graefe-Sjögren-Syndrom, benannt nach verschiedenen Forschern, die zur Erforschung der Erkrankung beigetragen haben.

Genetik und Ursachen des Usher-Syndroms

Das Usher-Syndrom wird autosomal-rezessiv vererbt, was bedeutet, dass beide Elternteile Träger des veränderten Gens sein müssen, damit ein Kind erkrankt. Die Erkrankung kann durch verschiedene genetische Mutationen auf unterschiedlichen Chromosomen verursacht werden. Bislang sind zwölf verschiedene Usher-Gene identifiziert worden, die bei der Erkrankung eine Rolle spielen können. Im Wesentlichen beruht die Ursache auf einer Veränderung der Zilien, feiner Zellfortsätze, die bei der Aufnahme von Umweltsignalen eine wichtige Rolle spielen. Beim Usher-Syndrom sind speziell die Zilien im Innenohr und in der Netzhaut betroffen.

Die Hörbehinderung beim Usher-Syndrom entsteht durch eine Schädigung der Haarzellen in der Schnecke des Innenohrs. Diese Zellen sind nicht mehr in der Lage, mechanische Reize in nervliche Aktivität umzuwandeln.Gleichzeitig führt die Mutation zu einer fortschreitenden Degeneration der Netzhaut (Retinopathia pigmentosa), bei der die Photorezeptoren nach und nach zerstört werden.

Die verschiedenen Typen des Usher-Syndroms

Anhand des Zeitpunkts und der Schwere der auftretenden Symptome wird das Usher-Syndrom in drei Haupttypen unterteilt. Diese Klassifizierung ist wichtig, da sie hilft, den individuellen Verlauf der Erkrankung besser einzuschätzen und geeignete Kommunikations- und Unterstützungsformen zu finden.

Usher-Syndrom Typ I: Symptome und Verlauf

Der Usher-Syndrom Typ I (USH1) stellt mit etwa 35% aller Fälle die zweithäufigste Form dar und zeigt den schwersten Verlauf. Wenn du von diesem Typ betroffen bist, wurdest du bereits mit einer hochgradigen Hörbehinderung oder vollständiger Taubheit geboren. Zusätzlich sind bei diesem Typ häufig schwere Gleichgewichtsstörungen vorhanden, was dazu führen kann, dass betroffene Kinder verspätet Sitzen oder Gehen lernen.

Die Sehbeeinträchtigung durch die Retinopathia pigmentosa entwickelt sich beim Typ I bereits vor dem 10. Lebensjahr. Die ersten Anzeichen sind typischerweise Nachtblindheit und eine zunehmende Einschränkung des Gesichtsfelds, die oft lange unbemerkt bleibt, da sie sich von der Peripherie her entwickelt. Mit der Zeit verengt sich das Sichtfeld immer weiter zu einem sogenannten „Tunnelblick“. Der Prozess schreitet von der Netzhautperipherie konzentrisch nach innen fort, bis schließlich nur noch ein röhrenartiges Gesichtsfeld bestehen bleibt.

Usher-Syndrom Typ II und III: Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Der Usher-Syndrom Typ II (USH2) ist mit etwa zwei Dritteln aller Fälle die häufigste Form. Wenn du von diesem Typ betroffen bist, wurdest du mit einer mittel- bis hochgradigen Schwerhörigkeit geboren, die jedoch im Gegensatz zum Typ I meist stabil bleibt und sich nicht weiter verschlechtert. Ein weiterer Unterschied zum Typ I besteht darin, dass der Gleichgewichtssinn in der Regel normal funktioniert.

Die Netzhautdegeneration beim Typ II beginnt erst während der Pubertät oder im frühen Erwachsenenalter und verläuft meist milder als beim Typ I, da das Absterben der Photorezeptorzellen weniger ausgeprägt ist. Dennoch führt auch dieser Typ langfristig zu erheblichen Einschränkungen des Sehvermögens.

Der Usher-Syndrom Typ III (USH3) ist die seltenste Form und wurde bisher hauptsächlich in Finnland und den USA nachgewiesen. Bei diesem Typ wirst du mit normalem Hörvermögen geboren, entwickelst aber im frühen Erwachsenenalter einen zunehmenden Hörverlust, der bis zur Taubheit fortschreiten kann. Die Sehbehinderung durch Retinopathia pigmentosa beginnt typischerweise während der Pubertät. Anders als bei Typ I sind Gleichgewichtsstörungen beim Typ III nicht bekannt.

Die Auswirkungen auf den Sehsinn

Die Sehbehinderung beim Usher-Syndrom wird durch eine fortschreitende Netzhaut-Aderhautdystrophie verursacht, die als Retinopathia pigmentosa bezeichnet wird. Diese Erkrankung führt zu einer langsamen Degeneration der lichtempfindlichen Zellen in der Netzhaut, den sogenannten Photorezeptoren.

Zu den typischen Symptomen der Retinopathia pigmentosa gehören Nachtblindheit, erhöhte Blendungsempfindlichkeit, verzögerte Hell-Dunkel-Adaptation, Farbsehstörungen, herabgesetztes Kontrastsehen und eine erhebliche Gesichtsfeldeinschränkung, die als „Tunnelblick“ beschrieben wird. Mit fortschreitender Erkrankung nimmt auch die Sehschärfe ab.

Der Verlauf der Sehverschlechterung ist individuell sehr unterschiedlich und lässt sich kaum vorhersagen. Selbst bei eineiigen Zwillingen mit identischer genetischer Ausstattung können unterschiedliche Verläufe beobachtet werden. Grundsätzlich besteht bei allen Typen des Usher-Syndroms die Gefahr einer vollständigen Erblindung, wobei es nicht zwangsläufig dazu kommen muss.

Hörbehinderung beim Usher-Syndrom

Die Hörbeeinträchtigung beim Usher-Syndrom beruht auf einer angeborenen Schädigung der Haarzellen im Innenohr. Je nach Typ des Usher-Syndroms variiert der Grad der Hörschädigung von einer mittleren Schwerhörigkeit bis hin zur vollständigen Taubheit.

Beim Typ I bist du bereits von Geburt an taub oder hast einen sehr schweren Hörverlust. Die Hörschädigung beim Typ II ist zwar auch angeboren, aber weniger stark ausgeprägt und bleibt in der Regel stabil. Beim selteneren Typ III entwickelt sich der Hörverlust erst im Laufe des frühen Erwachsenenalters und schreitet dann fort.

Die Hörschädigung wird häufig zunächst als isoliertes Problem wahrgenommen und behandelt, da die Sehbeeinträchtigung je nach Typ erst später einsetzt. Bei jungen Patienten wird die beginnende Retinitis pigmentosa oft nicht erkannt, sodass zunächst nur die Schwerhörigkeit diagnostiziert wird.

Kommunikationsmöglichkeiten für Menschen mit Usher-Syndrom

Die Wahl der geeigneten Kommunikationsform hängt stark vom Typ des Usher-Syndroms, dem aktuellen Stadium der Erkrankung und den individuellen Präferenzen ab. Da sowohl der Hör- als auch der Sehsinn beeinträchtigt sind, müssen besondere Kommunikationsstrategien angewendet werden.

Für Betroffene mit Typ I, die von Geburt an taub sind, ist die Gebärdensprache oft die primäre Kommunikationsform in der frühen Kindheit. Mit fortschreitender Sehbehinderung muss jedoch auf taktile Formen der Gebärdensprache umgestiegen werden, bei denen du die Hände des Gesprächspartners abtastest, um die Gebärden zu erfühlen.

Bei Typ II, wo eine Resthörfähigkeit besteht, kannst du Hörgeräte nutzen.. Auch Schriftdolmetschung mit entsprechender technischer Ausstattung wie einer Braille-Zeile am Computer können hilfreich sein. Die häufigste Kommunikationsform bei diesem Typ ist jedoch das Lormen, eine taktile Kommunikationsmethode, bei der Buchstaben durch Berührungen an der Hand übermittelt werden.

Es ist wichtig zu betonen, dass die Zuordnung bestimmter Kommunikationsformen zu bestimmten Usher-Typen nicht absolut ist. Auch unter den Betroffenen mit Typ II finden sich gebärdensprachlich orientierte Taubblinde.

Gebärdensprache und taktile Kommunikation beim Usher-Syndrom

Für viele Menschen mit Usher-Syndrom, insbesondere Typ I, ist die Gebärdensprache zunächst die natürliche Kommunikationsform. Mit fortschreitender Sehbehinderung müssen jedoch Anpassungen vorgenommen werden.

Eine wichtige Anpassung ist der Einsatz eines kleineren Gebärdenraums. Da Betroffene nur ein kleineres Blickfeld erkennen können, sollten Gebärden in einem begrenzten Bereich rund um das Gesicht ausgeführt werden. Bei weiter fortgeschrittener Sehbehinderung wird auf die taktile Gebärdensprache umgestiegen, bei der der Betroffene die Hände auf die des Gesprächspartners legt, um die Gebärden zu ertasten. Wichtig ist dabei, dass du als Sehender niemals einfach die Hände des Betroffenen nimmst und drauflos gebärdest.

Eine weitere wichtige taktile Kommunikationsform ist das Lormen, bei dem Buchstaben durch Berührungen an verschiedenen Stellen der Hand übermittelt werden. Diese Methode wird häufig von Menschen mit Usher-Syndrom Typ II genutzt.

Auch das taktile Fingeralphabet kann eine sinnvolle Kommunikationsmethode sein. Dabei werden die Handformen des Fingeralphabets abgetastet. Darüber hinaus gibt es die sozialhaptische Kommunikation, bei der Informationen über die Umgebung und soziale Situationen durch Berührungen am Körper vermittelt werden.

Die ältere Generation der Taubblinden nutzt oft lieber das Lormen als die taktile Gebärdensprache, vermutlich weil sie das Abfühlen der Gebärdensprache wenig trainiert hat. Zudem gibt es regionale Unterschiede und verschiedene Dialekte in der Gebärdensprache, was das taktile Verständnis erschweren kann.

Diagnostik und Früherkennung des Usher-Syndroms

Die Diagnose des Usher-Syndroms ist oft eine Herausforderung, da die Symptome schleichend auftreten und besonders bei jungen Patienten die beginnende Retinitis pigmentosa häufig nicht erkannt wird. In vielen Fällen wird zunächst nur die Hörbehinderung diagnostiziert, und erst später, wenn auch Sehprobleme auftreten, wird die Kombination als Usher-Syndrom erkannt.

Frühe Anzeichen einer Retinopathia pigmentosa sind besondere Blendungsempfindlichkeit und verschlechtertes Sehen bei Nacht („Nachtblindheit“). Wenn du diese Symptome bei dir oder deinem Kind bemerkst, vor allem in Verbindung mit einer vorhandenen Hörbehinderung, solltest du unbedingt medizinisches Fachpersonal aufsuchen.

Eine frühzeitige Diagnose durch medizinisches Fachpersonal kann dazu beitragen, dass möglichst rasch mit einer individuellen Behandlung gestartet werden kann. Die Diagnose umfasst in der Regel audiologische Tests zur Beurteilung des Hörvermögens, augenärztliche Untersuchungen zur Beurteilung der Netzhaut sowie genetische Tests zur Bestätigung der Diagnose und zur Bestimmung des spezifischen Usher-Typs.

Therapiemöglichkeiten und Hilfsmittel beim Usher-Syndrom

Für das Usher-Syndrom gibt es derzeit noch keine Heilung. Die Behandlung konzentriert sich daher auf die Verbesserung der Lebensqualität durch die Linderung der Symptome und die Unterstützung bei der Bewältigung des Alltags.

Für die Hörbehinderung stehen je nach Schweregrad verschiedene Hilfsmittel zur Verfügung. Bei leichter bis mittelschwerer Schwerhörigkeit können Hörgeräte eine wirksame Unterstützung sein. Bei hochgradiger Schwerhörigkeit oder Taubheit kann ein Cochlea-Implantat eine Option sein. Dies ist eine elektronische Hörprothese, die direkt die Hörnervenfasern in der Schnecke des Innenohrs stimuliert. Obacht! Nicht alle Hörbehinderten oder Gehörlosen wollen ein Cochlea-Implantat. Das Implantat kann ein sehr sensibles Thema in der Community sein.

Für die Sehbehinderung existieren bisher leider nur experimentelle Behandlungsmöglichkeiten wie die Stammzelltransplantation. Der Fokus liegt daher auf der Unterstützung durch spezielle Sehhilfen und die Anpassung der Umgebung. Wichtig ist eine gute Beleuchtung, die Verwendung kontrastreicher Farben und die Vermeidung von Blendung.

Neben den medizinischen und technischen Hilfsmitteln spielt auch das Erlernen alternativer Kommunikationsformen eine entscheidende Rolle. Je nach Typ des Usher-Syndroms und dem Stadium der Erkrankung können dies die Gebärdensprache, taktile Gebärdensprache, das Lormen oder andere taktile Kommunikationsformen sein.

Leben mit dem Usher-Syndrom: Alltag und Herausforderungen

Das Leben mit Usher-Syndrom stellt dich vor besondere Herausforderungen, da sowohl der Hör- als auch der Sehsinn beeinträchtigt sind. Die Kombination dieser beiden Sinnesbehinderungen erschwert die Kommunikation, die Orientierung und die Bewältigung alltäglicher Aufgaben.

Eine der größten Herausforderungen ist die Kommunikation mit anderen Menschen. Wenn du von Usher-Syndrom betroffen bist, kannst du je nach Stadium der Erkrankung bestimmte Kommunikationsformen nur eingeschränkt oder gar nicht nutzen. Die Gebärdensprache, die für viele Gehörlose die natürliche Kommunikationsform ist, wird mit fortschreitender Sehbehinderung immer schwieriger zu erkennen.

Auch die Orientierung und Mobilität werden durch die Kombination aus Hör- und Sehbehinderung stark erschwert. Die Einschränkung des Gesichtsfelds führt zu einem „Tunnelblick“, der die räumliche Wahrnehmung einschränkt.Gleichzeitig fehlen akustische Hinweise, die sehbehinderten Menschen normalerweise bei der Orientierung helfen.

Im Alltag müssen viele Anpassungen vorgenommen werden. Eine gute Beleuchtung ist wichtig, um das Restsehvermögen optimal zu nutzen. Bei Gesprächen solltest du darauf achten, dass das Licht auf das Gesicht des Gesprächspartners fällt und nicht blendet. Die Kommunikation sollte in einem angemessenen Abstand (ca. 1,5 Meter) stattfinden, und es ist wichtig, dass nur eine Person zur gleichen Zeit spricht.

Trotz aller Herausforderungen führen viele Menschen mit Usher-Syndrom ein aktives und erfülltes Leben. Mit der richtigen Unterstützung und den passenden Hilfsmitteln können sie ihre Fähigkeiten entwickeln und ihre Ziele verfolgen.

Unterstützungsmöglichkeiten und Selbsthilfegruppen für Menschen mit Usher-Syndrom

Wenn du vom Usher-Syndrom betroffen bist, ist es wichtig zu wissen, dass du nicht allein bist. Es gibt verschiedene Organisationen und Selbsthilfegruppen, die spezifische Unterstützung für Menschen mit dieser seltenen Erkrankung anbieten.

In Deutschland gibt es beispielsweise die Bundesarbeitsgemeinschaft Taubblinder (BAT), die sich für die Interessen taubblinder Menschen einsetzt und Informationen sowie Beratung anbietet. Auch die Pro Retina Deutschland e.V. ist eine wichtige Anlaufstelle, die sich speziell mit Netzhauterkrankungen wie der Retinopathia pigmentosa befasst.

Darüber hinaus existieren spezialisierte Beratungsstellen und Rehabilitationseinrichtungen, die auf die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Hörsehbehinderungen eingehen. Hier erhältst du Unterstützung bei der Anpassung von Hilfsmitteln, beim Erlernen alternativer Kommunikationsformen und bei der Bewältigung des Alltags.

Auch das Deutsche Taubblindenwerk bietet spezielle Beratungs- und Unterstützungsangebote für Menschen mit Usher-Syndrom. Sie helfen dir bei der Anpassung an die fortschreitenden Veränderungen und vermitteln wichtige Fähigkeiten für ein selbstbestimmtes Leben.

Die Auseinandersetzung mit dem Usher-Syndrom ist ein lebenslanger Prozess, da sich die Erkrankung kontinuierlich verändert. Mit der richtigen Unterstützung und einem proaktiven Umgang mit den Herausforderungen kannst du jedoch ein erfülltes Leben führen und deine persönlichen Ziele verfolgen.

Von A bis Z: Begriffe rund um Hörbehinderung und Gebärdensprachen

Hier findest du Erklärungen zu wichtigen Begriffen aus den Bereichen Hörbehinderung und Gebärdensprachen. Unser Ziel ist es, dir einen einfachen Zugang zu diesem Themenfeld zu ermöglichen und Fachbegriffe verständlich zu erläutern.

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