Gehörlosigkeit

Gehörlosigkeit: Eine umfassende Einführung

Gehörlosigkeit ist weit mehr als nur nicht hören können. Sie ist eine komplexe Art zu leben, die Menschen auf vielfältige Weise beeinflusst und eine eigene Kultur hervorgebracht hat. Wenn du dich mit dem Thema Gehörlosigkeit auseinandersetzt, wirst du schnell feststellen dass sies sowohl medizinische als auch soziale und kulturelle Aspekte umfasst.

Aus medizinischer Sicht wird Gehörlosigkeit als ein hochgradiger oder vollständiger Verlust des Hörvermögens definiert. Menschen gelten als gehörlos, wenn sie im Frequenzbereich zwischen 125 und 250 Hz einen Hörverlust von mehr als 60 Dezibel und im übrigen Frequenzbereich von mehr als 100 Dezibel aufweisen. Gehörlosigkeit kann viele verschiedene Ursachen haben kann. Sie kann angeboren sein, durch Krankheiten oder Verletzungen entstehen oder sich im Laufe des Lebens entwickeln.

Die Vielfalt der Gehörlosengemeinschaft

Viele, aber nicht alle gehörlose Menschen sprechen eine Gebärdensprache, die praktischerweise ohne akustische Signale auskommt. Damit sind sie Teil einer Gemeinschaft, die oft als Gehörlosengemeinschaft bezeichnet wird. Alternativ wird auch der Begriff “Gebärdensprachgemeinschaft” verwendet. 

Die Gehörlosengemeinschaft ist keineswegs homogen. Sie umfasst viele verschiedene Arten von gehörlosen oder hörbehinderten Menschen. Dazu gehören zum Beispiel solche, die von Geburt an gehörlos sind, solche, die im Laufe ihres Lebens ertaubt sind, und auch Menschen mit hochgradiger Schwerhörigkeit, die vielleicht auch Lautsprache sprechen können. Jede dieser Gruppen hat ihre eigenen Erfahrungen und Herausforderungen. Während einige gehörlose Menschen über ein Restgehör verfügen und dieses mit Hörhilfen wie Hörgeräten oder Cochlea-Implantaten auch zur Kommunikation nutzen, verlassen sich andere vollständig auf visuelle Kommunikation. Zur visuellen Kommunikation zählt vor allem Gebärdensprache, aber auch schriftliche Kommunikation. Taubblinde Menschen setzen oft auch auf taktile Gebärden.

Innerhalb dieser vielfältigen Gemeinschaft haben sich zudem verschiedene Subkulturen entwickelt, welche die Intersektionalität und Diversität der gehörlosen Erfahrung widerspiegeln. Eine solcher Gruppen ist u.a. die Deaf Queer Community, die taube LGBTQ+ Menschen vereint und ihre spezifischen Erfahrungen und Herausforderungen in den Vordergrund stellt. Diese Gemeinschaft bietet einen sicheren Raum für gehörlose Menschen, die sich als queer identifizieren, und fördert Empowerment und Selbstbewusstsein innerhalb dieser Schnittmenge von Identitäten.

Eine weitere wichtige Subkultur ist die vorhin kurz angdeutete Taubblinden-Community. So entsteht aus Gehörlosigkeit und Blindheit etwas Neues, was mehr ist als die Summe der Teile. Taubblinde Menschen haben Kommunikationsbedürfnisse und -methoden, die sich von denen der breiteren Deaf Community unterscheiden können. Sie nutzen oft taktile Gebärdensprache und andere angepasste Kommunikationsformen. Diese Gemeinschaft organisiert eigene Veranstaltungen und Camps, um den Austausch, die gegenseitige Unterstützung und das Empowerment zu fördern.

Diese und andere Subkulturen bereichern die Gehörlosengemeinschaft und tragen zu ihrer Vielfalt bei. Sie zeigen, dass Gehörlosigkeit nur ein Aspekt der Identität eines Menschen ist und dass innerhalb der Community eine große Bandbreite an Erfahrungen, Perspektiven und Bedürfnissen existiert. Die Anerkennung und Wertschätzung dieser Vielfalt sind ein wichtiger Schritt zur Schaffung einer inklusiven, repräsentativen und gehörlosen Kultur. Weil es innerhalb der „Gehörlosengemeinschaft“ viele verschiedene Gemeinschaften gibt, spricht man übrigens manchmal auch im Plural von Communities, also „Gehörlosen-Communities“ oder “Deaf Communities“.

Gehörlosigkeit und Sprache: Die Bedeutung der Gebärdensprache

Ein zentraler Aspekt im Leben gehörloser Menschen ist die Gebärdensprache. Sie ist nicht einfach eine visuelle Kopie der Lautsprache, sondern eine eigenständige, vollwertige Sprache mit eigener Grammatik und Struktur. Und es gibt viele verschiedene davon, in jedem Land mindestens eine. Auch sind die sprachlichen Verwandschaftsverhältnisse unterschiedlich. Die Amerikanische Gebärdensprache (ASL) hat mehr mit der Französischen Gebärdenspräche (LSF) gemeinsam, als etwa mit der Britischen Gebärdensprache (BSL). In Deutschland ist die Deutsche Gebärdensprache (DGS) seit 2002 offiziell als Sprache anerkannt. Für viele gehörlose Menschen ist sie die Muttersprache und das primäre Kommunikationsmittel.

Die Gebärdensprache ermöglicht es gehörlosen Menschen, sich frei und natürlich auszudrücken. Sie ist nicht nur ein Mittel zur Verständigung, sondern auch ein wichtiger Teil der Gehörlosenkultur. Durch sie können komplexe Ideen, Emotionen und Konzepte genauso differenziert ausgedrückt werden wie in jeder Lautsprache.

Gehörlosigkeit und Identität: Mehr als eine medizinische Diagnose

Für viele gehörlose Menschen ist ihre Gehörlosigkeit ein wesentlicher Teil ihrer Identität. Sie sehen sich nicht als „behindert“ oder „eingeschränkt“, sondern als Mitglieder einer sprachlichen und kulturellen Minderheit. Diese Sichtweise hat zu einem wachsenden Selbstbewusstsein und Stolz innerhalb der gehörlosen Gemeinschaft geführt.

Die Gehörlosenkultur umfasst eigene Traditionen, Kunst, Literatur und soziale Normen. Sie hat eine reiche Geschichte und im Laufe der Zeit eigene Institutionen wie Gehörlosenvereine, Schulen und kulturelle Veranstaltungen hervorgebracht. Diese Kultur bietet gehörlosen Menschen ein Gefühl der Zugehörigkeit und des Verständnisses, das sie in der hörenden Mehrheitsgesellschaft oft vermissen.

Herausforderungen und Barrieren für gehörlose Menschen

Trotz der Fortschritte in der Anerkennung der Gehörlosenkultur und der Gebärdensprache stehen gehörlose Menschen immer noch vor zahlreichen Herausforderungen im Alltag. Die Kommunikation mit der hörenden Mehrheitsgesellschaft kann oft schwierig sein, besonders wenn keine Gebärdensprachdolmetschenden zur Verfügung stehen. Dies führt meist zu Barrieren in Bildung, Beruf und im Alltag (z.B. Gesundheitswesen). 

Ein weiteres Problem ist die oft mangelnde Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Bedürfnisse gehörloser Menschen. Viele Hörende wissen wenig über Gehörlosigkeit und die Gehörlosenkultur, was zu Missverständnissen und Vorurteilen führen kann. Es ist daher wichtig, das Bewusstsein für die Realitäten gehörloser Menschen zu schärfen und Barrieren abzubauen.

Gehörlosigkeit und Technologie: Neue Möglichkeiten

Die technologische Entwicklung hat in den letzten Jahrzehnten neue Möglichkeiten für taube Menschen eröffnet. Neben den bereits erwähnten Hörhilfen gibt es eine Vielzahl von Kommunikationstechnologien, die das Leben erleichtern können. Dazu gehören Videotelefonie, die Kommunikation in Gebärdensprache über große Entfernungen ermöglicht, sowie stetig besser werdende Technik für Untertitel im Fernsehen und Internet. 

Auch im Bereich der Bildung hat die Technologie neue Wege eröffnet. E-Learning-Plattformen und digitale Lernmaterialien in Gebärdensprache machen Bildungsinhalte für gehörlose Menschen zugänglicher. Trotz dieser Fortschritte bleibt die Forderung nach mehr barrierefreien Angeboten und einer umfassenden Inklusion tauber Menschen in allen Lebensbereichen bestehen.

Die Zukunft der Gehörlosigkeit: Inklusion und Anerkennung

Die Zukunft für gehörlose Menschen liegt in einer Gesellschaft, die Gehörlosigkeit nicht als Defizit, sondern als Teil der menschlichen Vielfalt anerkennt. Dies bedeutet eine vollständige Inklusion tauber Menschen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, bei gleichzeitiger Anerkennung und Wertschätzung ihrer eigenen Kultur und Sprache.

Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist die Förderung der bilingualen Erziehung gehörloser Kinder, bei der sowohl die Gebärdensprache als auch die Lautsprache vermittelt werden. Dies ermöglicht es tauben Menschen, sich sowohl in der gehörlosen als auch in der hörenden Welt sicher zu bewegen und ihre Potenziale voll zu entfalten.

Was Du als hörender Mensch tun kannst

Als hörender Mensch kannst du einen wichtigen Beitrag zur Inklusion und Anerkennung gehörloser Menschen leisten. Informiere dich über die Gehörlosenkultur und die Gebärdensprache. Lerne, wie du respektvoll mit tauben Menschen kommunizieren kannst. Unterstütze Initiativen und Vereine, die sich für die Rechte gehörloser Menschen einsetzen und für mehr Barrierefreiheit in der Gesellschaft kämpfen.

Gehörlosigkeit ist nicht einfach nur die Abwesenheit von Hören. Sie ist eine einzigartige Lebenserfahrung, eine reiche Kultur und eine besondere Art, die Welt wahrzunehmen. Indem wir diese Perspektive anerkennen und wertschätzen, können wir eine inklusivere Gesellschaft schaffen, welche die Vielfalt menschlicher Erfahrungen feiert und von ihr profitiert.

Von A bis Z: Begriffe rund um Hörbehinderung und Gebärdensprachen

Hier findest du Erklärungen zu wichtigen Begriffen aus den Bereichen Hörbehinderung und Gebärdensprachen. Unser Ziel ist es, dir einen einfachen Zugang zu diesem Themenfeld zu ermöglichen und Fachbegriffe verständlich zu erläutern.

arrow_upward