Was bedeutet gehörlos sein?
Der Begriff gehörlos bezeichnet das vollständige oder weitgehende Fehlen der Hörfähigkeit bei Menschen. Wenn du als taub oder gehörlos bezeichnet wirst, bedeutet das, dass du eine hochgradige Hörbehinderung hast und vorwiegend in Gebärdensprache kommunizierst.
Dabei bevorzugen viele taube Menschen, insbesondere jüngere Generationen, zunehmend den Begriff „taub“ anstelle von „gehörlos“. Der Begriff „gehörlos“ wird von vielen tauben Menschen, die sich mit der Taubenkultur identifizieren, oft nicht verwendet. Sie verstehen sich nicht primär als Menschen mit einer Behinderung, sondern als Teil einer sprachlichen und kulturellen Minderheitengruppe. Die Eigenbezeichnung „taub“ wird in diesem Kontext als selbstbewusste, positive und direkte Identifikation gesehen.
Es ist wichtig zu verstehen, dass Gehörlosigkeit nicht nur eine medizinische Diagnose ist, sondern auch eine kulturelle und sprachliche Identität darstellt. Etwa 0,1 % der Bevölkerung in Industrienationen sind von Gehörlosigkeit betroffen. Das mag auf den ersten Blick nach einer kleinen Zahl klingen, aber es bedeutet, dass allein in Deutschland Zehntausende Menschen taub sind. Diese Menschen bilden eine eigene Gemeinschaft mit einer reichen Kultur und Geschichte.
Die Sprache der gehörlosen Menschen
Die Deutsche Gebärdensprache (DGS) ist das primäre Kommunikationsmittel für viele taube Menschen in Deutschland. Es handelt sich dabei um eine vollwertige, eigenständige Sprache mit einer komplexen Grammatik und einem umfangreichen Vokabular. Die DGS ist nicht einfach eine visuelle Darstellung der deutschen Lautsprache, sondern eine eigenständige Sprache mit eigenen Regeln und Strukturen. Gebärdensprachen sind visuell-manuelle Sprachen, die neben Handzeichen auch Mimik, Körperhaltung und Mundbild nutzen, um Bedeutung zu vermitteln. Sie ermöglichen es tauben Menschen, sich genauso differenziert und nuanciert auszudrücken wie Hörende in gesprochenen Sprachen. In der Gebärdensprache kannst du über abstrakte Themen wie Philosophie oder Politik genauso diskutieren wie über Alltagsangelegenheiten.

Ursachen und Diagnosen
Gehörlosigkeit kann verschiedene Ursachen haben. Sie kann angeboren sein oder im Laufe des Lebens erworben werden, etwa durch Krankheiten oder Unfälle. Die Diagnose erfolgt in der Regel durch audiologische Tests, die den Grad des Hörverlusts bestimmen. Dabei wird zwischen verschiedenen Schweregraden unterschieden, wobei Gehörlosigkeit den höchsten Grad der Hörbehinderung darstellt. Es ist wichtig zu verstehen, dass die meisten gehörlosen Menschen über ein gewisses Restgehör verfügen. Etwa 98 % der als gehörlos bezeichneten Personen können zumindest einige Geräusche wahrnehmen, auch wenn diese nicht ausreichen, um gesprochene Sprache zu verstehen.
Leben als gehörloser Mensch
Als gehörloser Mensch erlebst du die Welt auf eine einzigartige Weise. Deine visuelle Wahrnehmung ist oft besonders ausgeprägt, und du nimmst viele Dinge wahr, die Hörenden möglicherweise entgehen. Die Gehörlosengemeinschaft hat eine eigene reiche Kultur entwickelt, mit eigenen Traditionen, Kunst und Humor. Allerdings kannst du als hörbehinderter Mensch auch auf Barrieren in der Gesellschaft stoßen. Viele Informationen und Dienstleistungen sind nicht barrierefrei zugänglich, und die Kommunikation mit Hörenden kann eine Herausforderung darstellen. Hier spielen Gebärdensprachdolmetschende eine wichtige Rolle, um Brücken zwischen der gehörlosen und der hörenden Welt zu bauen.
Neue Technologien
In den letzten Jahrzehnten hat die technologische Entwicklung viele neue Möglichkeiten für gehörlose Menschen eröffnet. Cochlea-Implantate können einigen gehörlosen Menschen helfen, Geräusche und Sprache wahrzunehmen.
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass diese Technologie nicht für alle geeignet ist und dass viele gehörlose Menschen sie bewusst ablehnen, da sie ihre Gehörlosigkeit nicht als Defizit, sondern als Teil ihrer Identität betrachten. Andere technologische Entwicklungen, wie Videoanrufe und Untertitel, haben die Kommunikationsmöglichkeiten für taube Menschen erheblich erweitert. Auch Gebärdensprach-Avatare könnten in Zukunft den Zugang zu Informationen für gehörlose Menschen verbessern.
Bildung für gehörlose Kinder
Die Bildung gehörloser Kinder ist ein wichtiges und oft kontroverses Thema. Historisch wurden taube Kinder oft in Lautsprache unterrichtet, was für viele eine große Herausforderung darstellte. Heute setzen sich viele Fachpersonen und Betroffene für einen bilingualen Ansatz ein, bei dem sowohl Gebärdensprache als auch Lautsprache gelehrt werden. Früher Zugang zur Gebärdensprache ist für die sprachliche und kognitive Entwicklung gehörloser Kinder von großer Bedeutung. Studien haben gezeigt, dass gehörlose Kinder, die früh Gebärdensprache lernen, bessere Bildungsergebnisse erzielen und eine stärkere Identität entwickeln.
Arbeiten umgeben von Hörenden
In der Arbeitswelt stehen gehörlose Menschen oft vor besonderen Herausforderungen. Trotz gesetzlicher Regelungen zur Gleichstellung behinderter Menschen gibt es immer noch Vorurteile und Barrieren. Viele Firmen und Betriebe sind unsicher, wie sie mit gehörlosen Mitarbeitenden kommunizieren sollen oder welche Anpassungen am Arbeitsplatz notwendig sind. Tatsächlich können gehörlose Menschen in fast allen Berufen erfolgreich arbeiten, wenn die richtigen Unterstützungsmaßnahmen vorhanden sind. Dazu können Gebärdensprachdolmetschende, visuelle Alarmsysteme oder spezielle Kommunikationstechnologien gehören. Diese Leistungen können im Rahmen der sogenannten „Arbeitsassistenz“ beantragt werden. Es gibt viele erfolgreiche gehörlose Ärzt*innen, Lehrkräfte, Ingenieur*innen und Unternehmer*innen, die zeigen, dass Gehörlosigkeit kein Hindernis für beruflichen Erfolg sein muss.“
Die Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache
In Deutschland wurde die Deutsche Gebärdensprache im Jahr 2002 offiziell als eigenständige Sprache anerkannt. Dies war ein wichtiger Schritt zur Anerkennung der Rechte gehörloser Menschen. Die UN-Behindertenrechtskonvention, die Deutschland 2009 ratifiziert hat, stärkt diese Rechte weiter und fordert die volle Teilhabe hörbehinderter Menschen in allen Bereichen des Lebens. Gehörlose Menschen haben in Deutschland das Recht auf Gebärdensprachdolmetschende in vielen offiziellen Situationen, wie bei Behördengängen oder Arztbesuchen. Allerdings gibt es in der Praxis oft noch Probleme bei der Umsetzung dieser Rechte, und viele gehörlose Menschen berichten von Schwierigkeiten beim Zugang zu Dienstleistungen und Informationen.
Künstlerische Perspektiven und kulturelle Vielfalt
Die Gehörlosenkultur hat eine reiche künstlerische Tradition hervorgebracht. Gehörlose Kunstschaffende nutzen oft visuelle Medien wie Malerei, Fotografie oder Gebärdensprachpoesie, um sich auszudrücken. In den letzten Jahren hat auch das gehörlose Theater zunehmend Aufmerksamkeit erlangt. Filme und Fernsehsendungen mit gehörlosen Schauspieler*innen und in Gebärdensprache gewinnen ebenfalls an Popularität. Sie tragen dazu bei, die Sichtbarkeit der Gehörlosengemeinschaft zu erhöhen und Stereotypen abzubauen. Gleichzeitig fordern gehörlose Aktivist*innen mehr Barrierefreiheit in den Medien, etwa durch durchgängige Untertitelung oder Einblendung von Gebärdensprachdolmetschenden.
Gehörlos sein bedeutet mehr als nur nicht hören zu können
Gehörlosigkeit ist weit mehr als nur eine medizinische Diagnose. Sie ist eine Lebensweise, eine Kultur und eine Identität. Als gehörloser Mensch hast du eine einzigartige Perspektive auf die Welt und bist Teil einer lebendigen Gemeinschaft mit einer reichen Geschichte und Kultur. Während es immer noch Herausforderungen und Barrieren gibt, verbessert sich die Situation für gehörlose Menschen stetig. Technologische Fortschritte, wachsendes Bewusstsein in der Gesellschaft und die Stärkung der Rechte gehörloser Menschen tragen dazu bei, eine inklusivere Welt zu schaffen. Wenn du einem gehörlosen Menschen begegnest, denk daran: Gehörlosigkeit ist keine Behinderung, sondern eine andere Art zu kommunizieren und die Welt wahrzunehmen. Mit Offenheit, Respekt und dem Willen zu lernen, können Hörende und Gehörlose voneinander lernen und gemeinsam eine vielfältigere und reichere Gesellschaft gestalten.