Gebärdensprach-Avatar: Was kann diese neue Technik?
Der Gebärdensprach-Avatar ist eine technologische Lösung, die entwickelt wurde, um Informationen für taube, schwerhörige und taubblinde Menschen besser zugänglich zu machen. Auch als Kommunikationsmittel soll diese Technik langfristig zum Einsatz kommen.
Ein Avatar ist dabei eine computergenerierte, dreidimensionale Figur, die geschriebenen oder gesprochenen Text langfristig vollautomatisch in Gebärdensprachen übersetzt. Stell dir vor, du bist taub und möchtest die neuesten Informationen auf einer Webseite verstehen. Anstatt nur Text zu lesen, der für dich wie eine Fremdsprache sein kann, siehst du einen animierten Avatar, der die Informationen in deiner Erstsprache – einer Gebärdensprache wie der Deutschen Gebärdensprache (DGS) – präsentiert.
Weltweit gibt es etwa 70 Millionen gehörlose Menschen. Für viele von ihnen ist die Schriftsprache eine Fremdsprache. Sie bevorzugen daher häufig Gebärdensprachen. Die Deutsche Gebärdensprache beispielsweise ist eine eigenständige, vollwertige Sprache mit einer komplexen Grammatik und Syntax, die sich deutlich von der deutschen Lautsprache unterscheidet. Die Übersetzung von Texten in Gebärdensprachvideos ermöglicht tauben, schwerhörigen und taubblinden Menschen einen besseren Zugang zu den Inhalten. Gebärdensprach-Avatare tragen daher das Potenzial in sich, Inklusion und digitale Barrierefreiheit voranzutreiben und zu vereinfachen.
Die Technologie dahinter
Die Entwicklung von einem Gebärdensprach-Avatar ist ein komplexer Prozess, der auch Künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen nutzt. Ein Zusammenschluss aus privaten Unternehmen sowie Hochschul- und Forschungseinrichtungen hat mit dem Projekt AVASAG einen 3D-Avatar entwickelt, der Inhalte angeblich automatisiert in Gebärdensprache übersetzt. Dabei wurden Methoden des maschinellen Lernens mit regelbasierten Synthesemethoden kombiniert. Diese bilden Text in Gebärden ab. Zeitliche und räumliche Abhängigkeiten der Gebärdenelemente wurden dabei analysiert und versucht, in den Avataren umzusetzen.
Um einen realistischen und verständlichen Gebärdensprach-Avatar zu erschaffen, müssen nicht nur die Handbewegungen, sondern auch Mimik, Körperhaltung und Augenbewegungen präzise erfasst und wiedergegeben werden. An der TH Köln wurden in einem Teilprojekt mithilfe mehrerer Kameras einzelne Gebärden und ganze Sätze einer Person aufgenommen. So konnten die Bewegungen von Körper, Fingern und Gesicht gleichzeitig erfasst werden. Diese detaillierten Daten bilden die Grundlage für die präzise Animation der 3D-Avatare.
Anwendungsbereiche und Möglichkeiten von einem Gebärdensprach-Avatar
Die Einsatzmöglichkeiten von einem Gebärdensprach-Avatar sind vielfältig und haben das Potenzial, das tägliche Leben tauber Menschen erheblich zu erleichtern. Ein wichtiger Anwendungsbereich ist der öffentliche Verkehr. Im Projekt AVASAG wurde hierzu ein Gebärdensprach-Avatar geschaffen, der textbasierte Durchsagen und Informationen z.B. an Flughäfen, Bahnhöfen und Häfen zeitgleich und automatisch in Deutsche Gebärdensprache übersetzen soll.
Taube Menschen begegnen in ihrem Alltag häufig der Situation, dass sie wichtige Durchsagen an Bahnhöfen verpassen, da es keine visuelle Übersetzung der Informationen gibt. Ein Gebärdensprach-Avatar könnte diese Durchsage in Echtzeit in eine Gebärdensprache übersetzen und auf Bildschirmen anzeigen, damit niemand mehr etwas verpassen muss und hörende und gehörlose Menschen den gleichen Zugang zu Informationen bekommen.
Der Gebärdensprach-Avatar in der öffentlichen Verwaltung
Ein weiterer wichtiger Einsatzbereich für Gebärdensprach-Avatare ist die öffentliche Verwaltung. Viele Städte und Gemeinden arbeiten daran, ihre digitalen Angebote barrierefrei zu gestalten. Die Stadt Mannheim stellt auf der städtischen Website einen Gebärdensprach-Avatar zur Verfügung. Dieser Service soll gehörlosen Menschen den Zugang zu wichtigen Informationen in ihrer Erstsprache – der Deutschen Gebärdensprache – ermöglichen.
Die Zugänglichkeit von Informationen und Dienstleistungen öffentlicher Einrichtungen ist nicht nur ein wichtiger Schritt zur Inklusion, sondern auch eine gesetzliche Verpflichtung. Deshalb müssen sich Behörden und öffentliche Stellen in Deutschland bemühen, eine barrierefreie digitale Kommunikation sicherzustellen. Die Nutzung von Avataren kann dabei eine Möglichkeit darstellen, schriftliche Informationen in DGS zu übersetzen und so für ein gehörloses Publikum zugänglich zu gestalten.
Herausforderungen bei der Entwicklung
Trotz der vielversprechenden Möglichkeiten steht die Entwicklungvon Gebärdensprach-Avataren vor vielen Herausforderungen. Eine der größten ist die Komplexität der Gebärdensprachen selbst. Bei der Deutschen Gebärdensprache handelt es sich um eine visuell-manuelle Sprache. Wörter werden durch Gebärden ausgedrückt. Die Gebärden sind dabei aber nur ein Teil eines Sprachsystems, das aus einem Zusammenspiel aus Gesten, Mimik, Körperhaltung und Augenbewegungen besteht. All diese Elemente müssen vom Gebärdensprach-Avatar präzise wiedergegeben werden, um eine klare und verständliche Kommunikation zu gewährleisten.
Eine weitere Herausforderung ist die Akzeptanz in der Gehörlosengemeinschaft. Viele sehen die Avatare kritisch und befürchten, dass sie die Existenz von menschlichen Dolmetschenden bedrohen könnten. Es ist wichtig zu betonen, dass Avatare kein Ersatz, sondern immer nur eine Ergänzung sein können, besonders in Situationen, wo menschliche Dolmetschende nicht verfügbar oder praktikabel sind. In komplexen und planbaren Situationen werden Gebärdensprachdolmetschende bevorzugt.
In die Zukunft mit dem Gebärdensprach-Avatar: KI und dynamische Übersetzung
Die Entwicklung von Gebärdensprach-Avataren schreitet stetig voran, und die Zukunft verspricht immer spannendere Möglichkeiten. Langfristig strebt die Forschung und Entwicklungdynamische KI-basierte Übersetzungen an, die es ermöglichen, auch individuelle Inhalte einer Webseite in Echtzeit in Gebärdensprache bereitzustellen. Mit Ressourcen-Bündelung und Avatar-basierten Gebärdensprachübersetzungen auf digitalen Plattformen soll gemeinsam eine umfassende digitale Teilhabe für Menschen erreicht werden, die Gebärdensprachen nutzen.
Man stelle sich eine Website oder auch einen öffentlichen Raum vor, wo ein Gebärdensprach-Avatar alle aktuellen Inhalte in Echtzeit in eine Gebärdensprache übersetzt. Dies könnte den digitalen Zugang für gehörlose Menschen erheblich verbessern und zu mehr Teilhabe tauber und schwerhöriger Menschen im digitalen und öffentlichen Raum beitragen.
Die Herausforderungen und Fortschritte in der Verbreitung
Trotz der offiziellen Anerkennung und der wachsenden Akzeptanz der Deutschen Gebärdensprache gibt es immer noch Herausforderungen bei ihrer Verbreitung und Zugänglichkeit. Seit 1994 gibt das Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser verschiedene Fachgebärdenlexika heraus, beispielsweise zu Themen wie Handwerk oder Gesundheit. Durch die offizielle Anerkennung der DGS sind Gebärdensprachdolmetschende heute viel leichter verfügbar. Auch die Kommunikation über digitale Medien hat sich durch bessere Webcams und einfacheren Zugang zur Videotelefonie deutlich verbessert.
Dennoch besteht weiterhin Bedarf an einer breiteren Verfügbarkeit von DGS-Dolmetschenden, insbesondere in ländlichen Gebieten und in spezialisierten Fachbereichen. Auch die Integration der DGS in Bildungseinrichtungen und die Förderung des Gebärdensprachunterrichts für hörende Menschen sind wichtige Schritte zur Verbesserung der Inklusion und des gegenseitigen Verständnisses.
Avatare in der Bildung?
Ein weiterer Anwendungsbereich für den Gebärdensprach-Avatar könnte in Zukunft der Bildungsbereich sein. In Schulen und Universitäten könnten diese Avatare genutzt werden, um Lehrmaterialien und Vorlesungen für taube Studierende zugänglicher zu machen. Bisher lässt sich die Komplexität von Bildungsinhalten und deren sprachliche Anpassung an verschiedene Lernniveaus nicht ausreichend durch Avatare umsetzen. Die Qualität ist bisher zu schlecht, deshalb sollten Gebärdensprach-Avatare aus heutiger Sicht nicht im Bildungsbereich eingesetzt werden.
In der Zukunft aber könnten Gebärdensprach-Avatare beim Erlernen der Gebärdensprachen selbst helfen. Hörende Menschen, die eine Gebärdensprache lernen möchten, könnten von Avataren profitieren, die Gebärden in verschiedenen Geschwindigkeiten und aus verschiedenen Blickwinkeln demonstrieren können. Doch auch in diesem Bereich ist die Anwendung von Avataren eher als Ergänzung zum DGS-Unterricht mit tauben Dozierenden zu sehen und nicht als Ersatz.
Möglichkeiten in der Kunst und Kultur für den Gebärdensprach-Avatar?
Die Gehörlosenkultur ist reich und vielfältig, mit eigenen Traditionen, Kunst und Humor. Durch die Verbreitung von Gebärdensprach-Avataren an kulturellen Standorten wie Theatern und Museen könnte die Sichtbarkeit der Gebärdensprachen in der hörenden Mehrheitsgesellschaft gestärkt werden.
Die Technologie ist noch weit davon entfernt, künstlerische Auftritte wie Theaterstücke, Poesie und Performances live in angemessener Qualitätzu übersetzen. Ein Gebärdensprach-Avatar könnte jedoch beispielsweise zu Schrifttafeln in Museen, bei Kunstausstellungen und Installationen ergänzt werden und beschreibende Inhalte übersetzen.
Dies würde nicht nur die Teilhabe gehörloser Menschen verbessern, sondern auch allgemein zu mehr Sichtbarkeit von Gebärdensprachen im öffentlichen Raum führen und möglicherweise das Bewusstsein von mehr hörenden Kulturschaffenden wecken, Inhalte von Anfang an in für Gehörlose zugänglicher Form zur Verfügung zu stellen.
Ethische Überlegungen
Neben der Begeisterung für die technologischen Möglichkeiten ist es wichtig, auch die ethischen Aspekte des Einsatzes von einem Gebärdensprach-Avatar zu berücksichtigen. Wenn sie adäquat eingesetzt werden, können sie eine sinnvolle Ergänzung zu menschlichen Gebärdensprach-Dolmetschenden darstellen. Sie sind kein gleichwertiger Ersatz. Solange die Qualität ihrer Übersetzung nicht die Verständlichkeit von menschlichen Übersetzenden erreicht, sollten Avatare außerdem nur in Kombination mit Untertiteln eingesetzt werden.
Es ist entscheidend, dass die Entwicklung und der Einsatz von Gebärdensprach-Avataren in enger Zusammenarbeit mit der Gehörlosengemeinschaft erfolgen muss. Beim Einsatz von einem Gebärdensprach-Avatar sind ebenso soziale und gesellschaftliche Aspekte zu beachten. In diesem Zusammenhang betonen die Teilnehmenden an einer Studie, dass ein Gebärdensprach-Avatar keinesfalls weiter zur sozialen Isolation von gehörlosen Menschen beitragen darf, die ohnehin eine eingeschränkte Auswahl an Gesprächsmöglichkeiten haben. Auch haben die meisten Gebärdensprachen der Welt immer noch keinen angemessenen rechtlichen Status. Sie werden gesellschaftlich nicht wahrgenommen und in ihrer Leistungsfähigkeit angezweifelt. Avatare dürfen in diesem Zusammenhang keinesfalls als Lösung für ein vermeintliches Kommunikationsproblem betrachtet und vermarktet werden, betonen die Forschenden. Die gesamte Entwicklung und Anwendung von Avataren für Gebärdensprache muss in Zusammenarbeit mit tauben Menschen geschehen, die führend an allen Prozessen beteiligt sein müssen.
Der Gebärdensprach-Avatar als ein Werkzeug für Inklusion und Barrierefreiheit
Ein Gebärdensprach-Avatar stellt einen technologischen Fortschritt in der digitalen Kommunikation für gehörlose und schwerhörige Menschen dar. Er hat das Potenzial, Barrieren abzubauen und die Teilhabe an der digitalen Gesellschaft zu verbessern. Von öffentlichen Verkehrsmitteln über Behörden bis hin zu Bildungseinrichtungen – die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig und vielversprechend.
Dennoch ist es wichtig, die Technologie als Ergänzung und nicht als Ersatz für menschliche Dolmetschende zu sehen. Die Weiterentwicklung muss in enger Zusammenarbeit mit der Gehörlosengemeinschaft erfolgen, um sicherzustellen, dass die Avatare den Bedürfnissen und Erwartungen gehörloser Menschen entsprechen.
Momentan geht jedoch eine regelrechte Schwemme durch die Kommunen in Deutschland, was das Thema Gebärdensprach-Avatar angeht. Fast jede Kommune bietet sie an oder plant sie einzusetzen und preist sie mit euphorischen Worten:
„Für eine gelungene Inklusion müssen wir als Gesellschaft offen für digitale Werkzeuge sein und gemeinsam mit Betroffenen und Expertinnen und Experten neue Wege gehen,“ so der schwäbische Bezirkstagspräsident Martin Sailer. „Wir als Bezirk sind davon überzeugt, dass wir mit dem Gebärdensprach-Avatar einen großen Mehrwert bieten und es sich lohnt, das Angebot auszubauen.“
Mit fortschreitender technologischer Entwicklung und wachsendem Bewusstsein für die Bedürfnisse gehörloser Menschen wird der Gebärdensprach-Avatar mit Sicherheit eine immer wichtigere Rolle spielen. Er ist eins von vielen Werkzeugen für mehr Inklusion und Barrierefreiheit. In seiner Nutzung dürfen die Perspektiven der Gehörlosengemeinschaft jedoch nicht außer Acht gelassen werden. Es besteht die Gefahr, dass das Werkzeug als „Alibi” für Inklusion missbraucht wird, ohne dabei genau zu differenzieren, in welchen Kontexten es geeignet ist und in welchen nicht. Nur in Zusammenarbeit mit tauben Menschen können Avatare so entwickelt werden, dass sie erfolgreich zu mehr Inklusion beitragen.
