Gebärdenname

Was ist ein Gebärdenname?

Ein Gebärdenname ist eine spezifische Gebärde, die einer Person als individueller Name zugewiesen wird und anstelle des lautsprachlichen Namens verwendet wird, wenn über diese Person gesprochen wird oder wenn sie direkt angesprochen wird. Diese besondere Form der Namensgebung entstand aus einem ganz praktischen Grund: Das Ausbuchstabieren von Namen mit dem Fingeralphabet ist zeitaufwändig und kann den Redefluss erheblich beeinträchtigen. Stell dir vor, du müsstest bei jeder Erwähnung eines Namens jeden einzelnen Buchstaben aussprechen – das würde Gespräche unnötig in die Länge ziehen. Mit einem Gebärdennamen lässt sich eine Person präzise, schnell und eindeutig identifizieren.

In der Gehörlosengemeinschaft haben Mitglieder im Idealfall zwei Namen: einen ausbuchstabierten Vornamen und einen gebärdeten Namen. Manche Menschen sehen hier eine Parallele zur Namensgebung in anderen Kulturen, wo Namen nicht nur zur Identifikation dienen, sondern auch kulturelle Zugehörigkeit ausdrücken.

Die Bedeutung von Gebärdennamen in der Gehörlosenkultur

In der Gehörlosenkultur haben Gebärdennamen einen besonders hohen Stellenwert, was historisch begründet ist. Für Menschen mit einer Hörbehinderung stellt die Gebärdensprache das primäre Kommunikationsmittel dar, und Gebärdennamen sind ein wesentlicher Bestandteil dieser Kommunikation. Wenn du dich innerhalb der Gehörlosengemeinschaft vorstellst, buchstabierst du zunächst deinen Namen mithilfe des Fingeralphabets und zeigst anschließend deinen Gebärdennamen – sofern du bereits einen hast.

Die Tradition der Vergabe von Gebärdennamen ähnelt stark dem Brauch der Native Americans, Außenstehenden, die in ihren Stamm aufgenommen werden, besondere Namen zu geben. Es handelt sich also um einen kulturellen Ritus, der Zugehörigkeit symbolisiert und vermittelt. Wichtig zu verstehen ist: Nur eine kulturell und sprachlich gehörlose Person kann einen Gebärdennamen vergeben – nicht irgendjemand, der nur Gebärdensprache spricht. Diese Regel unterstreicht die Autonomie und kulturelle Selbstbestimmung der Gehörlosengemeinschaft.

Hörbehinderung und Kommunikation

Bevor wir tiefer in die Welt der Gebärdennamen eintauchen, solltest du die grundlegenden Aspekte der Hörbehinderung verstehen. Hörbehinderungen umfassen alle Arten von Beeinträchtigungen des menschlichen auditiven Systems und können angeboren sein oder im Laufe des Lebens in unterschiedlichem Ausmaß erworben werden.

Zur Gruppe der Menschen mit Hörbehinderung zählen vor allem gehörlose, (spät)ertaubte und schwerhörige Menschen. Als gehörlos oder taub werden diejenigen Menschen bezeichnet, die von Geburt an nicht hören können oder vor dem Erwerb der Lautsprache ertaubt sind. Diese Menschen können die Lautsprache nicht auf akustischem Weg erlernen und selbst mit bester technischer Unterstützung nur begrenzte oder gar keine Höreindrücke wahrnehmen.

Die Kommunikation erfolgt daher vorwiegend in Deutscher Gebärdensprache (DGS), in Lautsprachbegleitenden Gebärden (LBG) und/oder unterstützend in schriftlicher Form. In diesem Kontext wird die Bedeutung von Gebärdennamen besonders deutlich – sie sind ein essentieller Bestandteil einer visuellen Kommunikationskultur.

Wie Gebärdennamen vergeben werden

Die Vergabe eines Gebärdennamens folgt bestimmten kulturellen Konventionen. Üblicherweise sind es andere gehörlose bzw. taube Menschen, die einer Person eine spezifische Namensgebärde zuweisen. Dies geschieht oft nach einer Phase des Kennenlernens, in der die charakteristischen Merkmale der Person beobachtet oder erkannt werden können.

Der Prozess ist vergleichbar mit der historischen Entstehung von Familiennamen aus Beinamen, insbesondere den sogenannten Übernamen, die auf das Aussehen, den Charakter oder besondere Handlungsweisen der Person hinwiesen. Wenn du Teil der Gehörlosengemeinschaft wirst, kann es einige Zeit dauern, bis dir ein Gebärdenname gegeben wird – er ist ein Zeichen der Akzeptanz und Integration.

Es ist wichtig zu verstehen, dass du dir nicht selbst einen Gebärdennamen geben solltest, auch wenn das verlockend erscheinen mag. Die Vergabe eines Gebärdennamens durch gehörlose Menschen ist eine kulturelle Tradition und stellt sicher, dass der Name den sprachlichen und ästhetischen Konventionen der Gebärdensprache entspricht.

Kriterien für die Auswahl eines passenden Namens

Die Auswahl eines Gebärdennamen basiert auf verschiedenen Kriterien, die eng mit der Person verbunden sind. Häufig dienen äußerliche Merkmale wie Frisur, Bart, Gesichtsform, Muttermale oder oft getragene Schmuckstücke als Inspiration. Aber auch charakteristische Eigenschaften, typische Verhaltensweisen oder besondere Hobbys können die Grundlage für einen Gebärdennamen bilden.

Ein klassisches Beispiel: Eine Person, die gerne und viel Bonbons isst, könnte den Gebärdennamen „Bonbon“ bekommen. Manchmal wird auch der Familienname als Grundlage verwendet – so könnte „Fischer“ wie „Fisch“ gebärdet werden.

Wichtig ist, dass die Gebärde einfach auszuführen, logisch und leicht zu merken ist. Sie muss zudem den ergonomischen und ästhetischen Regeln der Gebärdensprache folgen. Nicht jede Bewegung oder jedes Konzept eignet sich als Gebärdenname – es braucht ein feines Gespür für die Sprache und die visuelle Ästhetik, um einen passenden Namen zu kreieren.

Gebärdensprache als eigenständiges Sprachsystem

Um die Bedeutung von Gebärdennamen vollständig zu erfassen, musst du verstehen, dass Gebärdensprache eine eigenständige Sprache mit eigenem Vokabular und eigener Grammatik ist. Neben der Bewegung mit den Händen spielen auch Mimik und Körperhaltung eine große Rolle. Es handelt sich also um ein komplexes visuell-räumliches Sprachsystem, das sich fundamental von Lautsprachen unterscheidet.

In Deutschland ist die Deutsche Gebärdensprache (DGS) seit 2002 als eigenständige Sprache anerkannt. Sie besitzt eine eigene Grammatik und Syntax, die sich von der deutschen Lautsprache unterscheidet. Gebärdennamen sind in diesem Kontext nicht einfach „übersetzte“ Lautsprachennamen, sondern eigenständige sprachliche Einheiten mit eigenen Regeln und kulturellen Bedeutungen.

Die Deutsche Gebärdensprache und andere Gebärdensprachen weltweit haben ihre eigenen linguistischen Charakteristika, die sich in der Bildung von Gebärdennamen widerspiegeln. Die Namensgebung folgt den grammatikalischen und visuellen Prinzipien der jeweiligen Gebärdensprache.

Die Geschichte der Gebärdennamen

Die Geschichte der Gebärdennamen ist eng mit der Geschichte der Gebärdensprachen verknüpft, die bis in die Antike zurückreicht. Schon Platon, Augustinus und Leonardo da Vinci berichteten über gebärdende taube Personen, und im jüdischen Talmud wird die Eheschließung von tauben Ehewilligen in Gebärden erwähnt.

Die moderne Geschichte der Gebärdensprachen beginnt jedoch erst im 18. Jahrhundert mit der Bildung tauber Kinder. Mit der Gründung von Schulen für gehörlose Kinder entwickelten sich standardisierte Gebärdensprachen, und damit einhergehend auch Konventionen für die Vergabe von Gebärdennamen.

In der Schweiz entstanden zwischen 1910 und 1980 Schulen für gehörlose Kinder, in denen die Kinder einen großen Lebensabschnitt gemeinsam verbrachten. In diesen Gemeinschaften entwickelten sich Traditionen der Namensgebung, die bis heute fortbestehen und gepflegt werden.

Die wenigsten tauben Menschen behalten übrigens den Gebärdennamen, den sie als Kind bekommen haben. Als Erwachsene erhalten sie meist einen neuen Namen, der dann im Allgemeinen ein Leben lang bestehen bleibt und nur selten geändert wird – selbst bei radikalen äußerlichen Veränderungen wie dem Wechsel von langen zu kurzen Haaren.

Unterschiedliche Arten von Namensgebärden weltweit

Gebärdennamen können auf verschiedene Weise gestaltet sein. In Nordamerika sind beispielsweise initialisierte Gebärdennamen verbreitet, bei denen der erste Buchstabe des Namens der Person (manchmal auch die Initialen) mit einer beschreibenden Gebärde kombiniert wird. In Europa und auf anderen Kontinenten hingegen sind deskriptive Gebärdennamen üblicher, die direkt auf physischen Eigenschaften, dem Beruf, besonderen Gewohnheiten oder anderen charakteristischen Merkmalen basieren.

Nehmen wir ein Beispiel: Eine Person namens Violet, die gerne reist, könnte in Amerika einen Gebärdennamen bekommen, der mit dem Handzeichen für den Buchstaben „V“ beginnt und dann eine Bewegung zeigt, die mit Reisen assoziiert wird. In Europa könnte ihr Gebärdenname einfach eine Gebärde sein, die „Reisen“ darstellt, ohne Bezug zum Anfangsbuchstaben ihres Namens.

Diese unterschiedlichen Traditionen spiegeln die kulturelle Vielfalt der Gehörlosengemeinschaften weltweit wider. Trotz dieser Unterschiede haben alle Gebärdennamen gemeinsam, dass sie ein wichtiges Element der kulturellen Identität darstellen.

Bekannte Persönlichkeiten und ihre Gebärdennamen

Auch Personen des öffentlichen Lebens bekommen Namensgebärden. Die Gebärdennamen für Politiker oder andere Prominente sind dabei oft sehr direkt und beziehen sich meist auf äußere Merkmale. So hatte die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel Gebärdennamen, die sich auf ihre Frisur, also ihren typischen Pagenschnitt, bezogen oder bildeten nach unten gezogene Mundwinkel nach. Diese Bezeichnungen sind nicht böse gemeint, sondern zeigen einfach die typischen äußeren Erkennungsmerkmale der Person.

Solche Gebärdennamen entwickeln sich mit der Zeit und verbreiten sich insbesondere durch das Fernsehen. Anfangs wird der Name einer Person des öffentlichen Lebens buchstabiert. Mit der Zeit wird dann ein äußerliches Merkmal hinzugefügt, wie bei Helmut Kohl beispielsweise der ausladende Hals, für Christian Lindner musste dessen Vorliebe für Porsches herhalten. Je nach Kontext können für eine prominente Person auch verschiedene Gebärdennamen entstehen, und oft wird versucht, eine neutralere Gebärde zu finden.

Interessanterweise können auch Charakterzüge bei einer Person des öffentlichen Lebens zu einem Gebärdennamen führen. Der oft als unentschlossen wahrgenommene Altkanzler Gerhard Schröder erhielt beispielsweise einen entsprechenden Gebärdennamen, der diese Eigenschaft widerspiegelte – Bundeskanzler “Zweifel” also.

Wie du deinen eigenen Gebärdennamen erhalten kannst

Wenn du dich für die Gehörlosenkultur interessierst oder mit gehörlosen Menschen zusammenarbeitest, fragst du dich vielleicht, wie du zu deinem eigenen Gebärdennamen kommen kannst. Wichtig ist: Du solltest nicht versuchen, dir selbst einen Gebärdennamen zu geben. Das ist ein absolutes No-Go.

Der Weg zu einem Gebärdennamen führt über den Kontakt und die Integration in die Gehörlosengemeinschaft. Wenn du die Gebärdensprache lernst und regelmäßigen Kontakt zu gehörlosen Menschen pflegst, wird dir irgendwann ein Gebärdenname zugewiesen. Dieser Prozess kann nicht erzwungen werden – er ist ein natürlicher Teil des Kennenlernens und der Akzeptanz.

In den letzten Jahrzehnten hat sich das Interesse an Gebärdennamen auch bei hörenden Menschen vergrößert. Mit zunehmendem Bewusstsein für die Gehörlosenkultur und wachsender Präsenz von Gebärdensprache in den Medien steigt auch die Wertschätzung für diese besondere Form der Namensgebung.

Gebärdennamen sind weit mehr als nur ein praktisches Mittel zur Kommunikation – sie sind Ausdruck einer lebendigen Kultur, ein Symbol für Identität und Zugehörigkeit. Sie spiegeln die visuelle Wahrnehmung der Welt wider, die für gehörlose Menschen so zentral ist, und verbinden Menschen über sprachliche und kulturelle Grenzen hinweg.

Von A bis Z: Begriffe rund um Hörbehinderung und Gebärdensprachen

Hier findest du Erklärungen zu wichtigen Begriffen aus den Bereichen Hörbehinderung und Gebärdensprachen. Unser Ziel ist es, dir einen einfachen Zugang zu diesem Themenfeld zu ermöglichen und Fachbegriffe verständlich zu erläutern.

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