Coda (Children of Deaf Adults)

Coda (Children of Deaf Adults): Ein Leben zwischen zwei Welten

Das Phänomen der hörenden Kinder gehörloser Eltern ist eine besondere kulturelle und sprachliche Erfahrung, die weit über die bloße Bedeutung der Wörter hinausgeht. Im Folgenden erfährst du alles über die einzigartige Lebensrealität dieser Kinder, ihre Herausforderungen, Chancen und ihre Rolle in der Gesellschaft.

Was bedeutet Coda (Children of Deaf Adults)?

Coda ist eine Abkürzung und steht für „Children of Deaf Adults“, auf Deutsch: Kinder gehörloser Erwachsener. Es bezeichnet hörende Menschen, deren Eltern gehörlos, spätertaubt oder schwerhörig sind oder die zumindest einen hörbehinderten Elternteil haben. Dabei wird zwischen “Coda” für Erwachsene und “Koda” (Kids of Deaf Adults) für Minderjährige unter 18 Jahren unterschieden. Interessanterweise haben gehörlose Eltern zu etwa 90% hörende Kinder, genauso wie gehörlose Kinder zu 90% hörende Eltern haben. Demnach sind nur etwa 10% der Kinder gehörloser Eltern ebenfalls gehörlos – diese werden auch als „Deaf Coda“ oder neuerdings auch “Doda” bezeichnet.

Wenn du ein Coda bist, wächst du in einer besonderen Konstellation auf: Du bewegst dich von klein auf zwischen zwei verschiedenen Kulturen und Sprachen. In deiner Familie und in der Gehörlosengemeinschaft wird hauptsächlich Gebärdensprache verwendet, während du in deinem weiteren Umfeld wie Schule, bei Freunden oder in den Medien die Lautsprache nutzt.

Die Geschichte des Begriffs Coda (Children of Deaf Adults)

Der Begriff Coda stammt ursprünglich aus den USA und existiert seit 1983. Er beschreibt nicht nur eine familiäre Konstellation, sondern auch eine Form der Identität von Kindern gehörloser Eltern. Mit der Zeit hat sich daraus eine weltweite Bewegung entwickelt, die sich für die spezifischen Bedürfnisse und Interessen von Codas einsetzt.

Die Organisation CODA International wurde gegründet, um Codas weltweit zu vernetzen und zu unterstützen. Sie veranstaltet Konferenzen, Retreats und fördert den Austausch zwischen Codas aus verschiedenen Ländern. Im deutschsprachigen Raum gibt es den Verein CODA d.a.ch. e.V., der als Netzwerk für hörende Erwachsene mit gehörlosen Eltern dient.

Ein wichtiger Tag für die Coda-Community ist der „Deaf Parents Day“ (Tag der gehörlosen Eltern), der am letzten Sonntag im April gefeiert wird. Im Jahr 2025 wurde dieser Tag am 27. April mit virtuellen Partys und verschiedenen Aktivitäten begangen.

Aufwachsen zwischen zwei Welten

Als hörendes Kind gehörloser Eltern wächst du in einem besonderen Spannungsfeld auf. In deiner Familie erlebst du die Gehörlosenkultur mit ihren eigenen sozialen und kulturellen Normen, während du gleichzeitig Teil der hörenden Mehrheitsgesellschaft bist.

Diese besondere Situation kann als Leben zwischen zwei Welten empfunden werden. Oft wird Codas erst mit dem Eintritt in den Kindergarten oder in der Schule bewusst, dass ihre Familiensituation sich von der anderer Kinder unterscheidet. Die meisten Codas nehmen ihre Lebenssituation als normal wahr und reflektieren erst später über die Besonderheiten ihres Aufwachsens.

Ein wesentlicher Aspekt des Aufwachsens als Coda ist die frühe Übernahme von Verantwortung. Da deine Eltern in manchen Situationen auf deine Unterstützung angewiesen sein können, übernimmst du oft schon in jungen Jahren Dolmetscheraufgaben. Dies kann einerseits deine Selbstständigkeit fördern, andererseits aber auch zu Rollenkonflikten und Überforderung führen.

Bimodale Bilingualität bei Coda-Kindern

Eine Besonderheit im Leben von Codas ist ihre sprachliche Entwicklung. Als Coda entwickelst du meist eine bimodale Bilingualität – du beherrschst zwei Sprachen, die unterschiedliche Modi der Sprachproduktion und -wahrnehmung nutzen: die Gebärdensprache als visuelle Sprache und die Lautsprache als auditive Sprache.

Im Unterschied zur „normalen“ Zweisprachigkeit, bei der zwei Lautsprachen nebeneinander existieren, können bei der bimodalen Bilingualität beide Sprachen gleichzeitig produziert werden. Dieses Phänomen wird als „Codeblending“ bezeichnet und ist charakteristisch für Codas. Mit zunehmendem Alter nimmt das Codeblending bei den Kindern zu, wobei die Lautsprache im Alter von etwa drei Jahren den höchsten Anteil hat.

Die sprachliche Entwicklung von Codas ist stark von der Sprachwahl und der Kompetenz der Eltern beeinflusst. Studien zeigen, dass sich Codas aktiv und kreativ sehr früh in ihrem Verhalten, auch dem sprachlichen, den Bedingungen der Gehörlosigkeit ihrer Eltern anpassen und umgekehrt die Eltern dem Hören der Kinder.

Die besondere Rolle von Coda (Children of Deaf Adults) in der Familie

In Familien mit gehörlosen Eltern und hörenden Kindern entwickeln sich oft spezifische Rollenverteilungen. Als Coda wirst du häufig zum Vermittlenden zwischen deinen Eltern und der hörenden Welt. Du übernimmst – obwohl in der Regel definitiv nicht dafür qualifiziert – Dolmetschaufgaben bei Arztbesuchen, Behördengängen, Elterngesprächen in der Schule oder bei Telefongesprächen.

Diese Dolmetschrolle kann positive Aspekte haben: Du entwickelst früh Verantwortungsbewusstsein, Empathie und interkulturelle Kompetenzen. Gleichzeitig kann sie aber auch belastend sein, besonders wenn du in komplexe oder emotional belastende Situationen gerätst, die deinem Alter nicht entsprechen.

Die Kommunikation innerhalb der Familie erfüllt wichtige Funktionen wie den Austausch von Informationen, das Mitteilen der inneren Lebenswelt und das Herstellen von Bindung. Ob diese Kommunikation in Gebärdensprache oder in Lautsprache stattfindet, spielt dabei keine entscheidende Rolle – wichtig ist vielmehr eine funktionierende Kommunikation, die von Codas meist als problemlos empfunden wird.

Herausforderungen und Chancen im Alltag

Der Alltag als Coda bringt sowohl besondere Herausforderungen als auch einzigartige Chancen mit sich. Zu den Herausforderungen gehören unter anderem:

  • Das ständige Wechseln zwischen zwei Sprach- und Kulturwelten
  • Die frühe Übernahme von Verantwortung und Dolmetschaufgaben
  • Mögliche Überforderung durch komplexe Dolmetschsituationen
  • Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Werten, Normen und Verhaltensweisen
  • Potenzielle Konflikte bei der Identitätsfindung

Gleichzeitig bietet das Leben als Coda auch besondere Chancen:

  • Frühe Entwicklung von Empathie und sozialen Fähigkeiten
  • Ausbildung einer besonderen interkulturellen Kompetenz
  • Bilinguale Sprachentwicklung mit allen kognitiven Vorteilen
  • Besondere Verbindung zur Gehörlosengemeinschaft
  • Möglichkeit, als Brückenbauer zwischen den Kulturen zu fungieren

Als Coda wirst du oft als „Drittkulturkind“ betrachtet. Du sammelst in deiner Kindheit viele interkulturelle Erfahrungen und entwickelst kulturübergreifende Fähigkeiten, die dich zu einem verbindenden Glied zwischen den Kulturen machen können.

Identitätsentwicklung bei Coda (Children of Deaf Adults)

Eine der zentralen Herausforderungen für Codas ist die Entwicklung einer eigenen Identität. Von Kindheit an gehörst du zwei Gemeinschaften mit unterschiedlichen Sprachen und Kulturen an. Dieses Leben in zwei Lebensformen hat einen erheblichen Einfluss auf deine Identitätsentwicklung.

Laut Forschungen markiert das Leben mit Hörenden und Gehörlosen erst die Unterschiede der beiden Kulturen und Lebensformen. Diese Erkenntnis wird oft mit dem Besuch des Kindergartens oder der Schule gewonnen. Der Prozess der Auseinandersetzung mit diesem Spagat ist sehr individuell.

Der Forscher Alain Bacci beschreibt 1994, dass Codas etwa im Alter von zwölf Jahren ihre eigene Identität anhand der erlebten Erfahrungen wählen. Dabei sind drei mögliche Verläufe erkennbar:

  1. Einige Codas wenden sich ausschließlich Hörenden zu
  2. Andere schließen sich stärker der Gehörlosengemeinschaft an
  3. Eine dritte Gruppe fühlt sich beiden Gemeinschaften zugehörig

Nach der Pubertät ergeben sich wieder drei mögliche Entwicklungswege: Manche Jugendliche distanzieren sich von ihren gehörlosen Eltern, andere wenden sich verstärkt dem gehörlosen Umfeld zu und werden später eventuell Gebärdensprachdolmetschende, und eine dritte Gruppe wendet sich komplett von der Gehörlosengemeinschaft ab.

Organisationen und Netzwerke für Codas

Um den spezifischen Bedürfnissen von Codas gerecht zu werden, haben sich weltweit verschiedene Organisationen und Netzwerke gebildet. Im deutschsprachigen Raum ist vor allem der Verein CODA d.a.ch. e.V. aktiv, der ein Netzwerk von hörenden Erwachsenen mit gehörlosen Eltern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz bildet.

Der Verein bietet Unterstützung für Codas jeden Alters, organisiert regelmäßige Treffen und Koda-Camps für Kinder und Jugendliche und stellt Informationsmaterial für Betroffene, Angehörige und Fachkräfte bereit. Auf internationaler Ebene gibt es die bereits erwähnte Organisation CODA International, die sich für die Belange von Codas weltweit einsetzt.

Diese Netzwerke sind wichtig, da sie Codas einen Raum bieten, in dem sie sich mit Menschen austauschen können, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Hier kannst du als Coda Verständnis finden, ohne lange erklären zu müssen, und Unterstützung bei der Bewältigung spezifischer Herausforderungen erhalten.

Zu den regelmäßigen Veranstaltungen gehören Coda-Wochenenden für Erwachsene, der Coda-Eltern-Tag und spezielle Koda-Camps für Kinder und Jugendliche. 2025 fanden und finden beispielsweise Coda-Wochenenden im Frühjahr in Hofheim/Bettenburg und im Herbst in Lüneburg statt, während der Coda-Eltern-Tag am 27. April 2025 in München stattfand.

Gesellschaftliche Bedeutung von Coda (Children of Deaf Adults)

Codas nehmen in der Gesellschaft eine wichtige Brückenfunktion ein. Sie verstehen durch ihre Biografie sowohl die Welt der Hörenden als auch die der Gehörlosen und können als Vermittler zwischen beiden Kulturen fungieren.

Als Coda hast du die Möglichkeit, zur Inklusion gehörloser Menschen beizutragen, indem du Verständnis für ihre Kultur und Lebensweise förderst. Viele Codas engagieren sich später beruflich oder ehrenamtlich für die Belange gehörloser Menschen, etwa als Gebärdensprachdolmetscher oder in der Gehörlosenpädagogik.

In den letzten Jahren ist das öffentliche Bewusstsein für das Thema Coda gewachsen. Medienberichte, Dokumentationen und nicht zuletzt der Oscar-prämierte Film „Coda“ haben dazu beigetragen, dass die besondere Lebensrealität von Codas einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wird.

Trotzdem gibt es noch immer viel Aufklärungsbedarf. Viele Menschen sind sich der besonderen Situation von Codas nicht bewusst und verstehen die spezifischen Herausforderungen und Ressourcen nicht, die mit dieser Lebenssituation verbunden sind.

Zukunftsperspektiven und Unterstützungsmöglichkeiten

Für die Zukunft ist es wichtig, dass die Unterstützungsangebote für Codas und ihre Familien weiter ausgebaut werden. Dazu gehören spezifische Beratungsangebote, Selbsthilfegruppen, pädagogische Programme und psychologische Unterstützung.

Es gibt bereits spezielle Trainingsprogramme für Codas, die darauf abzielen, ihr Selbstwertgefühl zu stärken, ihre bikulturellen Kompetenzen zu fördern und ihnen bei der Entwicklung einer positiven Identität zu helfen. Diese Programme gehen davon aus, dass ein Bewusstsein über die eigene Identität (Kenntnisse über Gehörlosigkeit und Coda-Identität, positive Einstellung zu beiden Kulturen) Teil von bikultureller Kompetenz ist und sich förderlich auf verschiedene Dimensionen auswirkt.

Als Coda kannst du heute auf verschiedene Ressourcen zurückgreifen, um dich mit anderen Codas zu vernetzen und Unterstützung zu erhalten. Neben den traditionellen Coda-Treffen und -Organisationen bieten auch soziale Medien und Online-Plattformen vielfältige Möglichkeiten zum Austausch und zur gegenseitigen Unterstützung.

Für die Zukunft wäre es wünschenswert, dass das Bewusstsein für die besondere Situation von Codas auch in Bildungseinrichtungen, im Gesundheitswesen und in Behörden weiter wächst, damit man als Coda überall angemessene Unterstützung und Verständnis findest.

In Kürze: Die einzigartige Welt der Coda 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Codas eine einzigartige Position zwischen zwei Welten einnehmen. Du wächst als Coda mit zwei Sprachen und in zwei Kulturen auf, was sowohl Herausforderungen als auch besondere Chancen mit sich bringt.

Die frühe Übernahme von Verantwortung, die Dolmetschfunktion in der Familie und die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen kulturellen Normen können anstrengend sein. Gleichzeitig entwickelst du als Coda aber auch besondere Fähigkeiten und Kompetenzen, die dir im Leben zugutekommen können.

Wichtig ist, dass du als Coda Unterstützung und Austauschmöglichkeiten findest, um deine Erfahrungen zu reflektieren und eine positive Identität zu entwickeln. Organisationen wie CODA d.a.ch. e.V. und CODA International bieten dir hierfür wertvolle Ressourcen.

Mit zunehmender gesellschaftlicher Aufmerksamkeit für das Thema verbessern sich auch die Unterstützungsangebote für Codas und ihre Familien. Dies trägt dazu bei, dass du als Coda deine besondere Position zwischen den Welten nicht als Belastung, sondern als Bereicherung erleben kannst.

Von A bis Z: Begriffe rund um Hörbehinderung und Gebärdensprachen

Hier findest du Erklärungen zu wichtigen Begriffen aus den Bereichen Hörbehinderung und Gebärdensprachen. Unser Ziel ist es, dir einen einfachen Zugang zu diesem Themenfeld zu ermöglichen und Fachbegriffe verständlich zu erläutern.

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